Seit 2009 betreut Melanie Gärtner die Rubrik Internationales der hauseigenen Zeitung der Goethe Universität. Regelmäßig publiziert sie Portaits internationaler Wissenschaftler.


Man sagt, dass einigen Menschen ihr Talent in die Wiege gelegt wird. Bei Dr. Zhiyi Yang (32), Juniorprofessorin für chinesische Literatur an der Goethe-Universität, war dies der Fall – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Noch bevor die heutige Literaturwissenschaftlerin das Wort Mama über die Lippen brachte, konnte sie schon Stücke der klassisch-chinesischen Poesie aufsagen. „Ich habe als Einjährige einfach nachgeplappert, ohne zu verstehen, was die Worte bedeuten“, sagt Dr. Zhiyi Yang und lacht. „Mein Vater hat in einer Schule Literatur unterrichtet und mir immer Gedichte vorgesagt. Ich habe diese dann vorgetragen, um die Verwandtschaft zu beeindrucken.“ Aus dem Kinderspiel wurde Leidenschaft und später Profession. Dr. Zhiyi Yang studierte an der Peking University Philosophie, Geschichte und vergleichende Literaturwissenschaft. Nach ihrem Master ging sie 2006 an die Princeton University und promovierte über die Poesie von Su Shi, einen chinesischen Dichter des 11. Jahrhunderts. Seit Mai 2012 lehrt sie nun als Juniorprofessorin am Institut für Sinologie.

Portraits internationaler Wissenschaftler - Zhiyi Yang - Unireport

Aktuell arbeitet die Literaturwissenschaftlerin über die Transformation der klassischen Poesie im China des 20. Jahrhunderts, insbesondere über eine Gruppe von Dichtern, die Southern Society. „Diese Gruppe hatte die Vision einer chinesischen Nationalkultur, die nicht mit der klassischen Literatur brechen muss“, sagt sie. Das klassische Chinesisch ist eine standardisierte Hochsprache, die nicht jedermann zugänglich ist. Im 20. Jahrhundert herrschte der Diskurs, dass die Literatur auch für Leute ohne Bildung verständlich sein und die Sprache der Arbeit in Wert setzen sollte. „China hat sich so selbst von seiner klassischen Tradition abgeschnitten“, sagt Dr. Zhiyi Yang. „Das war eine sehr schmerzhafte Geburt der chinesischen Moderne. Die Vision der Southern Society hätte ein Model chinesischer Modernität erlaubt, das kulturell einzigartig und nicht verwestlicht ist.“

Der thematische Sprung von einem klassischen Dichter des 11. Jahrhunderts hin zur Literatur des 20. Jahrhunderts, kommt dabei nicht von Ungefähr. Denn wie der Dichter Su Shi, möchte sich auch Dr. Zhiyi Yang breit aufstellen. „Su Shi war ein Universalgelehrter, der dichtete malte, Alchemie betrieb und als Beamter dem Staat diente“ sagt sie. „Die Wissenschaftler heute versuchen eher, sich zu spezialisieren. Ich versuche, dieser Tendenz zu widerstehen und mich nicht nur auf eine Periode der chinesischen Literaturgeschichte festzulegen.“

Goethe auf chinesisch

Mit der Juniorprofessur am Institut für Sinologie der Goethe-Universität hat es sie nun auch in die Geburtsstadt eines deutschen Universalgelehrten verschlagen. „Wenn ich ein Äquivalent zum Dichter Su Shi benennen sollte, wäre das sicher Johann Wolfgang von Goethe“, sagt sie. „Ich finde sogar, dass Goethe sehr chinesisch ist: er war Dichter und zugleich Staatsmann – genau wie Su Shi.“

Kein Wunder also, dass sich Dr. Zhiyi Yang in Frankfurt sehr wohl fühlt. Auch wenn sie die Leidenschaft vieler Deutscher für Bier und Würstchen bisher nicht teilen kann, hat sie sich in der Stadt am Main gut eingelebt. Sie liebt Spaziergänge am Fluss, das öffentliche Verkehrssystem in Frankfurt und den Austausch mit den internationalen Kollegen an der Goethe-Universität. „Ich bin froh, dass ich die Möglichkeit habe, in die europäische Kultur einzutauchen“, sagt sie. „Das Leben im Ausland erweitert nicht nur meinen persönlichen Horizont, sondern gibt mir Impulse, die auch meine Arbeit positiv beeinflussen.“ Der direkte Kontakt zu Menschen einer anderen Kultur ist für Dr. Zhiyi Yang dabei der beste Weg, kulturelle Grenzen zu überwinden und Vorbehalte abzubauen. „Ich mache oft die Erfahrung, dass die chinesische Kultur im Westen oft fragmentiert und oberflächlich wahrgenommen wird“, sagt Dr. Zhiyi Yang. „Einige Leute setzen China mit den Billigwaren oder den chinesischen Touristen gleich, die in Europa die Einkaufszentren stürmen. Sie vergessen dabei, dass dies Phänomene einer Moderne sind, die in China noch nicht reifen konnten.“

Ein Weg, diese Vorbehalte abzubauen, ist es ins Ausland zugehen – ein anderer die Wissenschaft. Dr. Zhiyi Yang organisiert ein internationales Symposium über klassische chinesische Dichtung im 20. Jahrhundert. Die Veranstaltung Back into Modernity findet am 4. und 5. Juli im Casino auf dem Campus Westend statt und ist offen für alle Interessierten.

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